Prof. Dr. phil. Jens Jürgen Clausen ist Erziehungswissenschaftler und Analytischer Gruppentherapeut. Er lehrt im Studiengang Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule Freiburg.
Herr Clausen, Sie bereiten ein neues Studienbuch zur Heilpädagogik/Inclusive Education vor. Was können wir erwarten?
Eine Heilpädagogik, die sich den Fragen und Anforderungen des 21. Jahrhunderts stellt – so hoffe ich! Das fängt schon bei den Grundbegriffen an: Wenn wir die Heilpädagogik als Wissenschaft und Praxis der Inklusion und Partizipation verstehen wollen, müssen wir alte Positionen überprüfen, uns von jahrzehntelangen Gewissheiten trennen und neue Perspektiven entwickeln.
Können Sie das konkretisieren?
Es wäre einfach, wenn wir uns mit ein paar neuen Überschriften begnügen, an die Eingangstüren unserer Studiengänge schnell ein paar neue Schilder schrauben würden mit Begriffen wie „Inklusionspädagogik“ oder „Teilhabewissenschaften“. Es gilt vielmehr, einen fundamentalen Diskurs zu führen: Was wäre, wenn wir „Behinderung“ als zentrale Kategorie unserer Profession ersetzen müssten? Wo stehen wir überhaupt im Zuge einer „Dekategorisierung“? Können wir da mitgehen? Und wo bleiben dann z.B. unsere diagnostischen Kompetenzen? Was benötigen wir, um Begriffe wie „Anerkennung“, „Gerechtigkeit“ oder „partizipative Forschung“ wirklich umzusetzen?
Das hört sich nach viel theoriegeleiteter Reflexion an – richtig?
Nein, nicht nur und nicht in erster Linie. Es soll durchaus ein umfangreiches Studienbuch werden, das den Weg des Studiums gut begleitet, die wissenschaftlichen Grundlagen des Faches vermittelt und die Handlungsfelder dieser Profession skizziert. Aber hier stellen sich eben ganz neue Fragen, wenn wir Inklusion und Partizipation in Bildung, Beschäftigung, Gesundheit, Kultur und Politik nicht nur auf Menschen mit körperlichen, sensorischen, kognitiven oder psychischen Beeinträchtigungen beziehen.
Das würde die Handlungsfelder der Heilpädagogik erheblich erweitern.
Ja, aber das darf nicht theorielos erfolgen! Eine Pädagogik der Vielfalt als Ablösung einer Pädagogik der Besonderung entwickelt sich ja nicht wie die Verwandlung einer Raupe zu einem Schmetterling. Es ist Arbeit – und dazu soll dieses Buch auch anregen!