Prof. Dr. Ulf Sauerbrey im Interview

Kinder lernen in den ersten Jahren fast ausschließlich durch Spielen. Warum also gilt Spielen heute trotzdem oft als verschwendete Zeit? Ulf Sauerbrey, Professor für Kindheitspädagogik, widmet sich in seinem neuen Buch „Spielen in der frühen Kindheit“ diesem Thema und erklärt, wie genau das kindliche Spiel mit dem Lernen zusammenhängt und wie Eltern und pädagogische Fachkräfte das Kind dabei am besten unterstützen können.

Ulf Sauerbrey
Spielen in der frühen Kindheit
Grundwissen für den pädagogischen Alltag
2021. 114 Seiten. Kart. € 26,–
ISBN 978-3-17-034773-1
Warum ist es für Kinder wichtig, Zeit auch einfach mal mit Spielen zu verbringen?
Spielen ist die zentrale Lebens- und Handlungsform kleiner Kinder. Im Modus des Spiels erkunden bereits Kleinstkinder Räume und Funktionen von Alltagsgegenständen, im ‚Als-Ob-Spiel‘ üben sie spielerisch Sprache und Handlungen ein und erproben im gemeinsamen Spiel verschiedene Rollen – und so geht das in verschiedenen Spielformen die gesamte Kindheit weiter. All das muss nicht zwingend durch Erwachsene initiiert werden. Kinder spielen eigenmotiviert – um des Spiels willen.
Was macht ein Spiel zum Spiel, und zählen Sie hierzu z.B. auch Lernspiele?
An der Wesensbestimmung des Spiels haben sich schon viele Forscher*innen abgearbeitet. Es gibt immerhin einige konstitutive Merkmale: etwa das Erfahren von Freiheit, dass man angespannt ist, dass Emotionen ausgelebt und dass bestimmte Handlungen wiederholt werden, aber auch dass man ‚so tut als ob‘. Die Ausprägung solcher Merkmale ist abhängig von den konkreten Spielformen, die sich in bestimmten Entwicklungsphasen im Kindesalter mehr oder minder gehäuft finden lassen. Was die ‚Lernspiele‘ betrifft: Diese Formulierung, die in der Marktwirtschaft oft zur Produktwerbung verwendet wird, ist eher irreführend. Kinder lernen beim Spielen immer und folglich müsste man alle tatsächlich von Kindern ausgeübten Spiele als Lernspiele bezeichnen. Daher wäre in Bezug auf solche Angebote treffender, von Lehr- oder Vermittlungsspielen zu sprechen, denn in ihnen sind bestimmte Kenntnisse und Fertigkeiten ‚inkorporiert‘, die von Hersteller*innen, Eltern oder pädagogischen Fachkräften als ‚wichtige‘ Vermittlungsinhalte intendiert sind. Ob sie aber tatsächlich zu Spielmitteln werden, entscheiden die spielenden Kinder selbst. Spielen lässt sich nicht ‚von außen‘ verordnen wie ein Arbeitsauftrag.
Spielen Kinder heute anders als früher?
Ja und Nein. Blickt man auf das Spielen an sich, hat sich – evolutionär gesehen – der Spieltrieb von Kindern wahrscheinlich nicht verändert. Wenn wir allerdings kulturgeschichtlich auf das Phänomen schauen, hatten und haben wir es mit immer wieder veränderten Spielumwelten zu tun: Kindern in den Industrienationen steht heute nicht selten eine Vielfalt an Spielmitteln zur Verfügung, die es in dieser Auswahl und Komplexität in der menschlichen Kulturgeschichte noch nie gab. Hierzutragen inzwischen auch digitale Medien bei – wenngleich wir in der Forschung immer noch dabei sind zu ergründen, wie das virtuelle Spielen das Aufwachsen von Kindern verändert. Die Befunde deuten darauf hin, dass digitale Medien als Spielmittel zu den bisherigen Spielen und Spielzeugen in der Freizeit von Kindern hinzutreten, diese aber nicht ersetzen. Spielen wird durch digitale Medien zudem ein Stück weit vernetzter und dabei noch einmal stärker crossmedial vermarktet, als es bislang der Fall war – denken Sie nur an populäre Comic-Figuren, zu denen es nicht mehr nur Bücher, T-Shirts, Rucksäcke und Co. gibt, sondern die auch Teil virtueller Spielangebote sind. Dennoch haben sich viele traditionelle Spiele seit Jahrhunderten in verschiedenen Kinderkulturen halten können.
Haben Sie vielen Dank!