Hans-Christoph Koller über die Grundlagen und aktuellen Entwicklungen in der Erziehungswissenschaft
Weshalb ist Immanuel Kant noch immer grundlegend für die Erziehungswissenschaft? Warum müssen sich Studierende besonders mit den Grundbegriffen auseinandersetzen? Diese und viele weitere Fragen beantwortet unser Buch „Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft” von Hans-Christoph Koller. Lesen Sie mehr dazu im Interview.
Hans-Christoph Koller
Grundbegriffe, Theorien und Methoden der Erziehungswissenschaft
Eine Einführung
9. Auflage. 2020. 243 Seiten, 4 Abb. Kart. € 21,–
ISBN 978-3-17-039810-8
Aus der Reihe „Urban-Taschenbücher”
Herr Koller, auf welchen Ideen und Theorien baut die Erziehungswissenschaft grundsätzlich auf?
Wie jedes Fach baut die Erziehungswissenschaft auf bestimmten Grundbegriffen wie z.B. Erziehung und Bildung auf. Die Versuche, diese Begriffe zu klären, reichen zurück bis mindestens um 1800. Deshalb kommt man um Klassiker wie Kant und Humboldt nicht herum. Um Reichweite und Grenzen von deren Theorien zu prüfen, sollte man sie aber mit neueren Ansätzen konfrontieren, die – wie z.B. die Sozialisationstheorie Bourdieus – den Bedingungen gegenwärtiger Gesellschaften besser Rechnung tragen.
Worin liegt die Aktualität dieser Theoretiker für die heutige Erziehungswissenschaft?
Wie ich in meinem Buch zu zeigen versuche, liegt die Aktualität Kants und Humboldts darin, dass sie – wie z.B. Kant mit der berühmten Formel „Wie kultiviere ich die Freiheit bei dem Zwange?“ – grundlegende Fragen aufwerfen, die auch die Interpretation aktueller Fallbeispiele anleiten können. Zugleich wird dabei deutlich, dass solche Theorien weiterentwickelt werden müssen, um neuen gesellschaftlichen Entwicklungen gerecht zu werden.
Gibt es Themenkomplexe, mit denen sich jede Studentin und jeder Student der Erziehungswissenschaft beschäftigen sollte?
Die Auseinandersetzung mit Grundbegriffen wie Erziehung, Bildung und Sozialisation sowie darauf bezogenen Theorien scheint mir unverzichtbar als Grundlage für den Erwerb von Reflexionskompetenz, d.h. der Fähigkeit, pädagogisch relevante Situationen aus der Perspektive unterschiedlicher Theorien betrachten und Ziele, Bedingungen, Chancen und Grenzen pädagogischen Handelns kritisch einschätzen zu können.
Welche aktuellen Themen prägen das Fach derzeit?
Zu den aktuellen Themen des Fachs gehören die Herausforderung des Bildungswesens durch Inklusion im Sinne der Einbeziehung von Kindern und Jugendlichen mit besonderem Förderbedarf, aber auch im weiteren Sinn des Umgangs mit der Heterogenität der Lernenden im Blick auf soziale Herkunft, Muttersprache oder Geschlecht. Weitere Herausforderungen sind die Ungleichheit von Bildungschancen, die Folgen von Flucht und Migration, die Digitalisierung und ganz aktuell der Umgang mit der Corona-Pandemie.
Das Interview führte Elisabeth Häge aus dem Lektorat des Bereichs Pädagogik/ Soziale Arbeit.