Etta Wilken, Sonderschullehrerin und Diplom-Sprachtherapeutin sowie emeritierte Professorin an der Leibniz-Universität Hannover, hat die Gebärden-unterstützte Kommunikation (GuK) entwickelt. Sie blickt auf langjährige Erfahrungen in der Ausbildung von Sonderpädagogen sowie in der Elternarbeit und in der Therapie von Kindern mit Down-Syndrom zurück – eine Arbeit, der sie bis heute mit viel Freude nachgeht.
Frau Wilken, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahrzehnten mit der Sprachförderung von Kindern mit Down-Syndrom. Wie kam es dazu?
In der Sonderschule, die ich Ende der sechziger Jahre leitete, waren viele Schülerinnen und Schüler mit Down-Syndrom. Große Schwierigkeiten bereiteten fast allen Kindern Kommunikation und Sprache – aber auch orofaziale Probleme, wie offene Mundhaltung und schlechtes Kauen waren häufig. Deshalb habe ich mich intensiv mit den Ursachen dieser syndromtypischen Beeinträchtigungen beschäftigt und nach Fördermöglichkeiten gesucht, nicht nur für die Schulkinder, sondern auch präventiv für Babys und kleine Kinder. Auch als ich dann eine Professur an der Universität Hannover hatte, habe ich weiter intensiv zu Fragen der Sprachförderung und Sprachtherapie geforscht, aber auch immer selbst mit Kinder mit Down-Syndrom logopädisch gearbeitet.
Was hat sich in den vielen Jahren geändert?
Während früher viele Probleme als syndromtypisch bezeichnet und damit als wenig veränderbar angesehen wurden, wird heute versucht, durch rechtzeitige Hilfen manche Beeinträchtigungen schon, bevor sie sich ausprägen, zu verhindern oder zumindest zu verringern. Besonders die Schwierigkeiten in der frühen Kommunikation, wenn das Kind schon viel versteht, aber selber noch nicht sprechen kann, waren eine Herausforderung. Um Verständigen zu erleichtern und Frustrationen zu vermindern, habe ich deshalb die Gebärden-unterstützte Kommunikation „GuK“ entwickelt, die sich jetzt seit vielen Jahren bewährt hat. Deshalb wissen wir, dass Gebärden die Sprachentwicklung nicht beeinträchtigen, sondern sie sogar unterstützen können. Immer wieder berichten Eltern wie schön es ist, dass sie ihr Kind verstehen, obwohl es noch nicht spricht. „Gebärden sind für mich ein Fenster zum Denken meines Kindes“, sagte eine Mutter. Zudem aber kann das Kind Fragen stellen, entsprechende Antworten erhalten, seine Überlegungen mitteilen und somit sprach- aber eben nicht sprechgebundene kognitive Fähigkeiten entwickeln.
Welches Ziel hat die Sprachtherapie bei älteren Kindern mit Down-Syndrom?
Viele Kinder im Schulalter sprechen oft noch schlecht verständlich und überwiegend in Ein- oder Zweiwortsätzen. Ein wesentliches Ziel der Sprachtherapie ist deshalb die Verbesserung von Artikulation und Syntax. Die allgemeine Sprachförderung erfolgt alltagsorientiert den individuellen Bedürfnissen und Kompetenzen entsprechend. Eine wesentliche Unterstützung kann dabei auch das Lesen bieten. Selbst den Kindern, die nicht lernen, fremde Texte zu erlesen, aber alltagsrelevante Wörter wiedererkennen können, ermöglicht solch ein Grundwortschatz mehr Teilhabe und Selbstständigkeit. „Ich kann allein nach Hause. Fahr mit Bus 5 bis Nelkenstraße, steig aus. Dann gleich zu Hause“, stellte ein Jugendlicher mit Down-Syndrom stolz fest.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit besonders gut?
Ich freue mich immer, wenn ich von Eltern oder von Therapeuten die Rückmeldung erhalte, dass sie gegebene Anregungen als hilfreich erlebt haben und erfolgreich in ihren Alltag oder in die Förderung übernehmen konnten. Schön ist zudem, wenn Kinder spontan in einer Fördersituation äußern: „Das macht Spaß. Nochmal!“